Kurz vor Brexit noch schnell nach London? Hier mein 7-Punkte-Plan – come what May…

Ich bin ja sowohl für slow blogging, als auch slow travelling. Nur manchmal muss man sich beeilen. Zum Beispiel: Um noch einmal vor dem vermutlichen EU-Austritt nach London zu kommen. So geschehen letztes Wochenende, ich besuchte „noch schnell“ meine beste Freundin Freya, die dort seit 10 Jahren als Fotografin lebt, für vier Tage. Schön ist es bei und mit ihr immer. Doch diesmal hatte ich das Gefühl, die Tage noch intensiver zu erleben. Weil ich ja immer mit dem Schlimmsten rechne – und deshalb das Gefühl habe, es war erstmal die letzte Reise auf die Insel. Wenn ich schon das Wort Brexit höre oder lese, wird mir slightly blümerant – wie muss es erst den Leuten geben, die dort leben? Oder Engländern, die derzeit in Deutschland arbeiten? Die für Unternehmen arbeiten, die bald dicht machen müssen? Dass in knapp zwei Wochen ein harter Brexit entschlossen wird, also ein ungeregelter, sofortiger Austritt aus der EU, kann und will ich noch nicht glauben. Aber sieben London-Erinnerungs-Splitter sind immerhin ein schwacher Trost (und überzeugen vielleicht noch den ein oder anderen, noch mal eben rüber zu machen…)
1 Frühlingsanfang in Hampstead Heath – auch als Freya noch keinen Hund hatte, sind wir hier spazieren gegangen. Der riesige Park ist wie ein Stück pure Wildnis, gerade mal vier Stationen von von Piccadilly Circus entfernt, auf der Hinfahrt fühlt man sich, als wolle man Urlaub in einem Cottage in den Cotswolds machen. Wenn man durch das Wald- und Wiesengebiet streift, mehr Hunden als Menschen begegnet (meistens Whippets, Lurchern und Schnauzern) fühlt man sich nicht nur wie in einer anderen Welt, sondern weit weg von der hektischen City, deren Spitzen man ganz gut vom höchsten Punkt (Parliament Hill) anschauen kann. Es soll sogar Geister geben – aber im Dunkeln muss ich mich hier auch nicht rumtreiben. Superschön: Diese Seite zu Hampstead Heath von Amy K.
2 Wir sind so frei – wir streifen in Winterjacke und mit Schal und Mütze durch die Stadt. Es ist arschkalt, aber an der Millenium Bridge sind gefühlt 90 Prozent der Jogger (und es sind mindestens 200 unterwegs um die Mittagszeit) in T-Shirt und Shorts unterwegs. Viele Männer sogar in Muskel Shirts. Abends in Hackney auf dem Weg zum Pub kommen uns junge Frauen in bauchfreien Shirts und Miniröcken und Jungs mit Shirts, Slippern und allenfalls einer Jeansjacke entgegen. Wir bibbern schon beim Zusehen. Und scheinen auch alle nüchtern zu sein … Sind es nicht auch immer Engländer, wenn einem in Berlin im Februar eine Horde von Typen in Shorts begegnet? Sind die wirklich alle so heißblütig? In Hamburg ist es doch viel kälter, als hier, oder? Keine Ahnung, aber der Abhärtungsgrad fasziniert mich jedes Mal auf’s Neue.
3 Touri Times – am Themseufer zur Tate Gallery wandern, zu Top Shop in der Oxford Street, die Brick Lane rauf und runter und durch die Second Hand Shops, Full English Breakfast und Fish & Ships essen und mittags schon Bier im Pub trinken, ständig einen Beatles Song im Kopf und den Buckingham Palast würde ich mir jetzt auch noch gerne anschauen… Ich habe das Gefühl, ich mache all das, was alle Touristen hier machen! Meine Lust auf neue, bisher unentdeckte Dinge geht in London gegen Null. Deshalb sind auch ständig andere deutsche Reisende um mich rum – in anderen Städten würde ich das verachten und käme niemals auf die Idee, den Eiffelturm zu besuchen oder die Freiheitsstatue. Warum bloß hier? No idea…
4 Die Tate Modern – auch wenn es heute so bumsvoll wie auf dem Oktoberfest ist: Tate muss sein. Seit ich das erste Mal mit 15 Jahren auf der Studienreise ehrfürchtig vor dem riesigen Gemäuer stand, das zugegeben potthässlich ist (viel schöner ist da der nicht mehr ganz neue Anbau, das Blavatnik-Gebäude von Herzog & de Meuron) komme ich eigentlich jedes Mal her. Auch wenn ich vorher schon weiß, dass mich die riesige Turbinenhalle allein vom Anschauen erschlagen wird. Auch wenn da unten heute schon wieder Ausstellungspause ist, auch wenn ich nie im Museumsshop was kaufe – und auch wenn es in der Tate Modern erst recht von anderen Deutschen nur so wimmelt: Ich bin immer wieder gerne hier. Auch, weil es mich total entspannt, als anonymer Teil der Masse durch die Ausstellungsräume zu schleichen, als wäre man Teil einer riesigen Bewegung, die sich in Stille befindet.
5 Hackney & London Fields – zwischen Freyas Wohnung und ihrem Atelier liegt der kleine Park. Für mich ist er der coolste Park der Welt. Hier gibt es mitten in der City ein kleines Schwimmbad (ok und meist seeehr viele Schlange stehende Engländer davor), Tennisplätze und im Juni/Juli gibt es hier Public Wimbledon Viewing – natürlich mit strawberrys & whipped cream. Und natürlich kann man den ganzen Tag Leute beobachten und sich vorstellen, was so ihre Geschichten sind. Hier macht mir auch der Regen nichts aus, als gehörte er unbedingt dazu (komischerweise ist es eigentlich immer sonnig, wenn ich hier bin). Was mir wieder aufgefallen ist: Wie unfassbar freundlich alle schauen und wie schnell man in Smalltalk mit Fremden kommt.
6 Whippets – „Du willst Dir was kaufen? Einen Windhund? Bitte nicht!“ Das war vor ein paar Jahren meine erste Reaktion, als sich Freya, bis dato eindeutig Katzenmensch, plötzlich ganz angetan von der Idee zeigte, einen Hund zu haben. Und auch was für einen war ihr schnell klar: Einen Whippet. Ich sah vor meinem inneren Auge ein dünnes, verloren wirkendes Hündchen, das ständig zittert. Ich hatte wirklich keine Ahnung! Erste Welpenfotos beschwichtigten mich, aber andererseits: Welcher Welpe ist nicht süß? Und als ich Brooky dann kennen lernte, hatte er mich nach 2 Minuten um die Pfote gewickelt. Und ich verstand, warum die Engländer ein großes Herz für eine Hunderasse haben, die man in Deutschland noch sehr selten sieht: Brooky wirkt total feinfühlig und schlau, er lässt sich nicht immer streicheln und wenn er zu viel beschmust wurde, verzieht er sich in sein höhlenartiges Kissen. Draußen jagt er im Affenzahn hinter Frisbee, Stöckchen oder Bällen her – und zuhause ist er meistens tiefenentspannt. Und sein Fell ist so seidenweich, als wäre er eben erst auf die Welt gekommen.
7 British Politeness – „How are you, love?“, „Please, excuse us!“ – in England kann man sich immer tausend Arten abschauen, wie man höflich mit seinem Gegenüber umgeht und ihm oder ihr stets das Gefühl der Wertschätzung gibt. Ich merke immer, dass mich das total entspannt und mich wirklich fast nie jemand nervt. Zurück in Hamburg muss ich nur in den Bus steigen oder Taxi fahren und weiß wieder, warum ich manchmal gerne in England leben möchte. Freya hat mir gesagt, dass die Engländer auf der anderen Seite total konfliktscheu sind und sich niemals die Meinung sagen würden – und wenn dann nur mit zwei Lagen Samthandschuhen. Aber das mit der Freundlichkeit – das haben sie echt drauf. Wenn ich es mir so überlege, kann ich mir nicht mal bei Frau May vorstellen, dass die unfreundlich sein soll …