Mein etwas wilder Selbstversuch, Waldbaden, kreatives Schreiben und Nature Writing miteinander zu verbinden… und mein Weg zum Schreibcoach im Wald und auf der Heide (4)
Als erstes reduzieren wir beim Spazieren unser Tempo, es geht ums ganz bewusste Schlendern und langsam Gehen. Die Wiederentdeckung der Langsamkeit ist erst schwierig. Aber nach und nach gewöhne ich mich und genieße. Wir suchen uns gemächlich einen Sit Spot, nach einer halben Stunde finden wir eine riesige Eiche. Oder findet sie uns? Unter ihr beginnt Lara mit einer geführten Seh-Meditation, dem 360-Grad-Blick: Man stellt sich fest mit beiden Beinen auf und schaut sich wie eine großformatige Kamera alles im Blickfeld ganz genau an, schließlich dreht man sich alle paar Minuten um 90 Grad, nimmt einfach nur wahr, was die Augen sehen – bis man einen Kreis vollzigen hat. „Ich werde zum durchsichtigen Auge. Ich bin nichts“ lautete ein Glaubenssatz von Ralph Waldo Emerson. Mit seinem Essay „Nature“ wurde er neben Thoreau 1836 nicht nur zum Urvater des Nature Writing, sondern auch eine Leitfigur für die Umweltbewegung und den Naturschutz.
Ich bin schon jetzt sehr entspannt, merke aber, dass ich mich zum Schreiben fast überwinden muss. Aber darum sind wir ja hier, also los! Zunächst – Überraschung! – sollen wir beide in zwei Minuten unser Lieblingstier aus dem Stegreif zeichnen. Richtig gelesen, ich will erstmal unsere Kreativität mit einer anderen Tätigkeit aktivieren, sozusagen kreative Überrumpelung. Als nächstes schreiben wir fünf Minuten lang eine Geschichte über das gemalte Tier. Anschließend lesen wir uns die Texte gegenseitig vor. Uns beiden fällt sofort eine Begegnung mit diesem Tier ein, die für uns etwas sehr Magisches hatte. Keine bloße Beschreibung.

Dann wollen wir „Mit den Sinnen schreiben“. Mein Text wird eine mehr oder weniger genaue Zustandsbeschreibung über das, was ich wahrnehme: Die Wärme der Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht, die verschiedenen Klänge des Windes… ich merke, dass ich immer wieder längere Phasen einfach so dasitze, schaue – und staune. Und es stellt sich ein Gefühl von Demut und tiefer Zufriedenheit ein. Es fühlt sich gut an, hier an der frischen Luft zu sitzen und die Erfahrung kreativ zu gestalten. Unsere letzte Übung für heute: serielles Schreiben. Wir vervollständigen den Satz „Ich erinnere mich gern an…“ jeweils sechsmal. Danach darf sich jeder einen Satz aussuchen, zu dem der andere eine 20-minütige Geschichte schreibt. „Ich erinnere mich gerne an… die Wildpferde“ ist der Satz, den Lara auswählt. Ich hatte die Erinnerung längst vergessen, wie ich mit 17 im australischen Outback mit einem native Australian, Jim, auf einem halbwilden Pferd durch den Busch galoppierte, längst vergessen, aber die Weite der lila Heidelandschaft erinnert mich irgendwie an die baumlose Halbwüste Australiens. Oder ihr Geruch? Obwohl ich damals erst große Angst hatte, die Kontrolle über das Tier zu verlieren, fasste ich nach und nach Vertrauen und spürte irgendwann Freiheit und Stärke – genauso fühlte ich mich auch nach dem „Waldschreibbad“ mit Lara.

Ich glaube, das Experiment ist geglückt: Elemente des Waldbadens und des Nature Writing lassen sich sehr gut miteinander verbinden. Auch wenn für autobiografisches oder heilsames Schreiben sicher die Natur oft Spiegel der Seele ist, hilft es, sich, wie ja auch viele Autoren des Nature Writing, streckenweise ganz bewusst „leerzumachen“, einfach nur wahrzunehmen und sich in die Natur hineinzuspüren, um irgendwann, ganz in Ruhe, ins Schreiben zu kommen. Ich kann sagen, dass ich mich derzeit trotz vieler Aufgaben und einem hohen Arbeitspensum erfreulich stressfrei fühle. Eigentlich muss ich mich für meinen Hamburger Sit Spot nur noch winterfest machen…
Ausblick
Lara (www.mimameid-waldbaden.de) und ich hatten bereits angefangen, ein Konzept für gemeinsame Tages-Retreats zu entwickeln, die das Naturnahe Schreiben mit dem Waldbaden verbinden, im Mai wollten wir damit loslegen. Durch die Pandemie haben wir vorerst davon abgesehen, Werbung dafür zu machen, da unklar ist, wann man wieder guten Gewissens gemeinsam in der Gruppe nach draußen gehen kann. Wir sind aber sicher, dass sich das Rausgehen und die Natur wieder fest in unserem Leben und dem vieler Menschen, vor allem in der Stadt, verankern wird – vielleicht mehr, denn je. Wir halten Euch auf dem Laufenden!