Mein etwas wilder Selbstversuch, Waldbaden, kreatives Schreiben und Nature Writing miteinander zu verbinden… und mein Weg zum Schreibcoach im Wald und auf der Heide (2)
Ich erreiche meinen Spot, den ich am ersten Abend sehr spontan ausgesucht hatte: eine Kuhle an einem Buchenstamm. Sie scheint einmal ein Fuchsbau gewesen zu sein, ist aber inzwischen verlassen. Um anzukommen, versuche ich, etwas zu meditieren und den spontanen Impuls, sofort alles aufzuschreiben, was ich fühle oder assoziiere, zu unterdrücken. Ich muss mich fast schon zwingen, den Blick nicht schweifen zu lassen, sondern die Augen zu schließen, einfach nur zu atmen und mich zu erden. Das ist eigentlich eine Technik, die mir draußen leicht fällt, da ich sie vom Waldbaden kenne. Aus dem so genannten Shinrin Yoku weiß man eh längst, dass Zeit im Wald Gold ist. Das japanische Zauberwort bedeutet so viel wie „Wandeln und Baden in der Waldluft“ und fand in den letzten Jahren immer mehr Anhänger auch bei uns.
Ich denke darüber nach, dass ich gerade Terpene einatme. Pflanzliche Terpene, sozusagen die Botenstoffe der Bäumen, haben pharmakologische Wirkungen auf Menschen aus, schützen den Körper vor freien Radikalen, töten Krankheitserreger und beeinflussen das Immunsystem, was man sogar messen kann. Bereits nach ein paar Stunden im Wald soll die Anzahl unserer natürlichen Killerzellen um rund 40% ansteigen. Und ich kann sagen: Im Wald riecht es einfach gut. Wobei ich nicht direkt im Wald sitze, sondern ja am Rand. Ich schaue auf mein Feld mit seinen vereinzelten Bäumen, Sonnenblumen und Telegrafen- masten, also auf von Menschen beeinflusste Natur. Irgendwann nehme ich ein gefallenes Buchenblatt zwischen zwei Finger und studiere es. Mir fällt auf, dass ich viel fokussierter bin und den Blick gefühlt Minuten lang auf den Streben und Verästelungen des ledrig braunen Blattes halte. Ich versuche, es zu beschreiben mit allen Details. Das ist erstmal mühsam und alles andere als entspannend. Dabei sollte ich als Journalist es eigentlich gut beschreiben können!

Schließlich finde ich die Worte für das, was ich sehe: „Es ist etwa sechs Zentimeter lang und einförmig zugespitzt, an der Basis wie ein Herz geformt und durch eine Abnagung unsymmetrisch. Der Stiel formt eine S-Kurve, und bis auf die fehlende Stelle wirkt es robust. Die Streben des Gerippes strahlen gleichmäßig an den Seiten nach oben aus. Die Oberseite ist ledrig-braun in Farbe und Textur, die Unterseite ist angeraut und fast schon ocker…“ und so weiter. Als ich endlich so weit bin, Geist und Blick nicht mehr abschweifen zu lassen, versinke ich in der vollständigen Beschreibung. Ich gerate in eine Art Flow und nehme die Natur nicht mehr als großes Ganzes oder mich Umgebendes wahr. Nein, alles steckte in diesem kleinen Blatt, in diesem Moment. Ich konnte mich ausblenden. Ich hatte die drei Rehe auf dem Feld gar nicht bemerkt, eigentlich war es auch schon viel zu spät: Das Reh ist ein Dunkelschlüpfer, hatte ich gelernt –wird es draußen hell, verschanzt es sich im Dickicht und so ahnt kein Mensch, dass viele Wälder geradezu „massenbevölkert“ sind.
Als ich an diesem ersten Morgen, es war nicht mal 8 Uhr, zurück spazierte, fühlte sich nicht nur mein Gepäck viel leichter an, auch ich war ziemlich beschwingt, wie nach einer langen und tiefen Meditation … (Fortsetzung folgt)