Mein etwas wilder Selbstversuch, Waldbaden, kreatives Schreiben und Nature Writing miteinander zu verbinden… und mein Weg zum Schreibcoach im Wald und auf der Heide (1)
Morgens, halb sieben in Bayern. Mein Rucksack ist zu schwer. Das Fernglas baumelt und stößt beim Gehen unbarmherzig gegen meinen Solar Plexus. Der Stift in meiner Hosentasche piekt in meinen Oberschenkel und die bunte Decke aus recyceltem Plastik unterm Arm raschelt zu laut. Aber heute morgen brauche ich mehr als sonst, wenn ich im Wald bin: Ich möchte mich der Natur sitzend und schreibend nähern – und dadurch auch mir selbst. Zunächst habe ich nicht nur schweres Gepäck, sondern auch viel Theorie im Kopf: Ich befinde mich auf dem Seminar „Nature Writing“ der Bayerischen Akademie des Schreibens in Sulzbach-Rosenberg. Das Seminar wird von Verlegerin und Lektorin Meike Rötzer (bei Matthes & Seitz – der Verlag mit den Naturkunden) und dem Biologen, Ökophilosophen und Schriftsteller Andreas Weber geleitet. Dazu gibt es Vorträge, neben anderen von der Künstlerin Miek Zwamborn, der Naturlyrikerin Sabine Scho und dem Forstmann und Autor Wilhelm Bode. Name und Tradition des Nature Writing sind englisch, doch auch bei uns gewinnt die in den USA und Großbritannien längst etablierte Gattung allmählich an Aufmerksamkeit. Zunächst lässt sich Nature Writing vielleicht mit „Natur schreiben“ oder „Über Natur schreiben“ bestimmen, im Mittelpunkt steht die subjektive Begegnung, die Reflexion über eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen ‑„da draußen“.

Der Mensch erlebt die Natur und berichtet, was er sieht und fühlt, das führt zu teilweise monumental langen und unfassbar detailreichen Beschreibungen von Landschaften, Pflanzen oder Vogelfedern. Für viele Vertreter des Nature Writing ist die Natur kein Spiegel der Seele des Menschen, sondern es geht eher um eine verschriftlichte Bestandsaufnahme, um letztlich ökologisches Bewusstsein zu schaffen. Das klingt erstmal recht spröde, oder? Zugegeben sind viele Texte aus dem artenreichen Fundus „Nature Writing“ eher sperrig: „Walden“ (1854) von Henry David Thoreau, einer der Urväter aller Nature Writer, ist alles andere als „snackable content“, sondern erfordert so viel Dranbleiben, wie eine Nacht auf dem Hochsitz. Ich fühle dagegen immer eine Menge, wenn ich draußen bin: Ich nutze die Zeit im Wald oder am Strand oft als Tröster oder Verstärker meiner guten Laune. Mein romantischer Blick auf die Natur ist der eines Städters mit Fluchtreflex. Auf dem Land zu sein, zu wandern oder Tiere zu beobachten entspannt mich nach kopflastiger Schreibtischarbeit – denn die Stadt wird mir oft zu viel, weil sie mich daran hindert, mich zu sammeln, zu zentrieren und dort zu bleiben, wo ich hingehöre: bei mir selbst. Der Slogan für stadtlandflow bringt meine nicht gerade niedrige Erwartung an die Natur auf den Punkt: Mehr Draußen, weniger Bullshit. Natur macht mich gesund, irgendwie. Schreiben auch. Aber wie genau beides zusammen?

Zu Beginn des Seminars wurde uns empfohlen, einen so genannten Sit Spot in der Natur aufzusuchen und jeden Morgen vor Seminarbeginn eine halbe Stunde dort zu verbringen. Durch das wiederkehrende Sitzen am gleichen Ort soll sich unser Bewusstsein schärfen, unsere Sinne geöffnet und erweitert werden. Wie sehen die Pflanzen dort aus und verändern sie sich? Welche Tiere sind zu sehen und wie verhalten sie sich? Wie verändern sich Licht und Luft? Durch die erhöhte Sensibilität für die Natur erhoffe ich mir nicht nur Aufmerksamkeit und ein tieferes Verständnis, sondern auch ein hohes Maß an Entspannung und ein Mittel gegen Stress. Schreiben müssen wir zunächst nicht, erst einmal nur wahrnehmen, uns mit unserem Ort verbinden. Wie schön, alles kann, nichts muss… (Fortsetzung folgt)