let’s go outside in the moonshine
take me to the places that I love best (George Michael, „Outside”)
Raus ins Grüne, raus aus den Klamotten, „Rauskommen“ als Statement, zu sich selbst zu stehen …und wieso habe ich eigentlich beim Schreiben dieser kleinen Filmkritik den Song „Outside“ von George Michael im Kopf?
Meistens möchte Euch stadtlandflow ja dazu bewegen, den Sessel und das Sofa zu verlassen. Diesmal heißt es aber: Rein mit Euch! Für mich ist Natur mehr, als ein Ort, an dem ich Durchatmen und mich frei bewegen kann. Sie ist Inspiration und Augenweide – Filme, Bücher und Kunstwerke, in denen sie eine bedeutende Rolle hat, inspirieren mich. Äh nein, ich meine nicht unbedingt sowas wie „Alaskas wilde Riesen“ und Konsorten – obwohl ich wenig im Fernsehen entspannender finde, als Tier- und Landschaftsdokus …
Jedenfalls: Stellt stadtlandflow in unregelmäßigen Abständen Filme oder Kunstwerke vor, die die Natur in ihrer Schönheit, Brutalität – oder vielleicht einfach völlig neu zeigen.
„God’s Own Country“ von Francis Lee (Kinostart 26. Oktober) ist so ein bemerkenswerter Film, auch wenn sich die Schönheit des ziemlich roughen Nordenglands nicht auf den ersten Blick zeigt. Geduckte Hügel, Regen, Wind, dürftige Vegetation, you get the idea. Der 24-jährige Johnny lebt einsam mit seinem halbseitig gelähmten Vater und der Großmutter auf einer abgelegenen Schafsfarm in Yorkshire, die er allein bewirtschaftet, um seine Familie zu versorgen. Die Sprache zwischen den dreien ist so spröde, wie die Landschaft, die die Menschen hier god’s own country nennen. Weil sie letztlich gewinnt und die Menschen niederzwingt.
Um seinem tristen Alltag zu entfliehen, säuft Johnny im lokalen Pub bis zu Besinnungslosigkeit und hat unverbindlichen, seelenlosen 5-Minutensex mit anderen Männern. Als sein Vater den gleichaltirgen Gheorghe aus Rumänien als Aushelfer anheuert, reagiert er, wie er es von seiner Familie kennt: Aggressiv und ablehnend. Erst nach und nach sieht Johnny ein, dass er Gheorge braucht: Als Helfer in der schroffen, schier unbezwingbaren Umgebung, aber auch als Gefährten, der ihn endlich aus seiner seelischen Isolation befreit.
„Ich wollte zeigen, was eine solche Begegnung für jemanden bedeutet, der in seinem bisherigen Leben nicht nur geographisch und sozial isoliert war, sondern der sich auch emotional weitgehend verschließen musste“, sagt Francis Lee selbst über seinen Film. „Johnny lebt in einer traditionsverbundenen Gemeinschaft von Arbeitern, in der man am Ende eines körperlich anstrengenden Tages vielleicht schlicht keine Ressourcen mehr hat, um herauszufinden, wer man eigentlich ist; in der die Verpflichtungen gegenüber Familie über den individuellen Interessen stehen; in der sich niemand darum schert, mit wem man schläft, solange man am Ende des Tages die Tiere gefüttert und sich um die Äcker gekümmert hat.“
Raue Natur und zerklüftete wie karge Landschaften als Äquivalent und filmisches Symbol für eine Seele in Aufruhr und die ihr fehlende Kommunikation zu den Mitmenschen – das sieht man jetzt nicht so selten auf der großen Leinwand. Auch nicht, dass sie eine sexuelle/amouröse Erweckung befördert (Gibt es jemand, der noch nie Sex im Freien hatte…?) – aber selten gelingt es in so gekonnten, wunderschönen Bildern wie dem ersten (!) Spielfilm Francis Lees, das die komplizierte wie zerbrechliche Liebesgeschichte der zwei jungen Männer so poetisch und klar erzählt wie ein Herbstregen, der kalte Erde aufweicht.
Was „God’s Own Country“ neben den Bildern, der schnörkellosen Geschichte und den Schauspielern so einzigartig macht: Authentizität. „Beide Hauptdarsteller arbeiteten zur Vorbereitung für mehrere Wochen auf einer Farm mit Bauern aus der Region und waren dabei mit all den Tätigkeiten konfrontiert, die auch das Leben ihrer Figuren im Film ausmachen: die Auf- zucht von Lämmern, die medizinische Versorgung der Tiere, das Häuten von Lämmern, das Trockenmauern, das Zaunmachen, die Käseherstellung – all diese Arbeiten mussten beide Darsteller so lange mitmachen, bis sie ihnen ganz natürlich von den Händen gingen. Ich wollte, dass sie sich wie Teile jener Umgebung fühlten, in der ihre Figuren lebten und arbeiteten.“
Fazit: 10 von 10 Grashalmen!